Im folgenden dokumentieren wir eine Stellungnahme vom "Solikreis Residenzpflicht abschaffen":

Der Residenzpflichtprozess eines geflüchteten Aktivisten geht nun bis vor das Bundesverfassungsgericht

Mohammad Kalali hat sich im Rahmen  der selbstorganisierten Proteste von Asylsuchenden stets das notwendige Recht auf Bewegungsfreiheit im Bundesgebiet genommen. Aufgrund seines Aufenthaltsstatus hat er damit gegen die ihm auferlegte Residenzpflicht verstoßen. So haben Polizeibeamte erwartungsgemäß bei Rassistischen Kontrollen immer wieder solche Verstöße bei ihm festgestellt, sodass ihm in der Folge zahlreiche Bußgeldbescheide ins Haus flatterten - für vier davon erhielt er schließlich eine Strafanzeige.

Kalali hat daraufhin Einspruch eingelegt, um sich gegen diesen institutionellen Rassismus zu wehren und gleichzeitig offensiv gegen ihn vorzugehen: Ziel war es von Beginn an, die Residenzpflicht bis vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen und somit den Versuch einer Abschaffung dieses Gesetzes zu starten. So hat Kalali gemeinsam mit seiner Anwältin Anne-Kathrin Krug den Prozess durch alle Instanzen gebracht, bis sie schließlich im April 2014 Verfassungsbeschwerde eingelegt haben.

Dabei sind sie sich darüber bewusst, dass der rechtliche Weg nur einen Versuch darstellt: Das Bundesverfassungsgericht hat sich bereits 1997 mit einer ähnlichen Beschwerde auseinandergesetzt, die es damals unter anderem mit folgender Begründung abgelehnt hat: Die Residenzpflicht bezwecke eine ständige Erreichbarkeit zur Verfahrensbeschleunigung, die gleichmäßige Verteilung der Lasten auf Länder und Kommunen und die Vermeidung unerwünschter Konzentration von Asylsuchenden in den großstädtischen Zentren. "Die genannten Zwecke lassen sich nicht durch mildere Mittel genauso wirksam erreichen." Und: "Anhaltspunkte dafür, dass eine Durchsetzung schützenswerter persönlicher Interessen der Asylbewerber [...] von vornherein entscheidend erschwert oder gar unmöglich gemacht wird, sind nicht ersichtlich."1 Die Rechtseinschränkungen gegenüber Asylsuchenden seien also verhältnismäßig in Bezug auf die politischen Ziele der Gesetzgeber. Diese Begründung gilt es nun in der neuen Beschwerde zu widerlegen - und hiervon die Verfassungsrichter_innen zu überzeugen.


Politische Prozessführung

Im Verlauf des aktuellen Prozesses kam es zu zwei Gerichtsverhandlungen: erst vor dem Amtsgericht Cham im August 2013, dann vor dem Landgericht Regensburg im Dezember. Die Revision gegen das zweite Urteil wurde anschließend vom Oberlandesgericht Nürnberg zurückgewiesen, sodass im nächsten Schritt Verfassungsbeschwerde eingereicht wurde.

Die Gerichtsverhandlungen hat der Betroffene dazu genutzt, Öffentlichkeit für das Thema zu schaffen, und war sich hierbei einer breiten Medienaufmerksamkeit sicher. Kalali und seine Anwältin haben hierbei die Verhandlungsführung stets politisch gehalten - auf der einen Seite die Verstöße gegen die Residenzpflicht politisch gerechtfertigt, auf der anderen Seite immer wieder auf die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes hingewiesen.

So erklärte Kalali in seinem Plädoyer in Regensburg: "Die Verletzung der Residenzpflicht ist in der deutschen Strafgesetzgebung eine der wenigen Straftaten, die keine Opfer bringen. Gleichzeitig ist hierbei jedoch der oder die 'Kriminelle' selbst das Opfer." Die Residenzpflicht müsse auch innerhalb des Netzes aus zahlreichen unterdrückenden Regelungen und Praxen zur Zermürbung der Non-Citizens (Asylsuchenden) betrachtet werden: Abschiebung, Lagerpflicht, Einschränkung der Nahrungsauswahl, mangelhafte medizinische Versorgung, eingeschränkte Arbeitserlaubnis und vieles mehr.

"Vielleicht ergeben wir uns unter solchen Umständen einer Abschiebung und gehen mit den eigenen Füßen zu den Hinrichtungsstätten zurück, von denen wir gekommen sind. Oder wir gehen wie Rahsepar und hunderte andere den letzten Schritt und lassen uns von diesen Gesetzen in den Selbstmord treiben. Aber es gibt einen dritten Weg, den wir gefunden haben, und den wir nun seit zwei Jahren gehen: Wir geben uns der Ungleichheit und der Ungerechtigkeit nicht hin, denn wir glauben an die Freiheit und ergeben uns dem erzwungenen Tod nicht. Wir hatten gelernt und wir haben wieder gelernt, dass die einzige Wahl, die wir in unserem Leben treffen, der Widerstand ist. Wir sind uns vollkommen klar darüber, warum wir hier sind, und so haben wir mit vollem Bewusstsein und mit voller Absicht die Entscheidung getroffen, die Gesetze nicht zu respektieren, die uns nicht respektieren. Ich bin auf jenem dritten Weg und letztendlich ist mir persönlich die Residenzpflicht scheißegal."2

Bei beiden Verhandlungen haben sowohl Staatsanwaltschaft als auch Richter ihre Positionen gegen Kalali und die Urteilssprüche unter offener Zerknirschtheit vertreten und sich dafür verteidigt, dass sie rechtlich zu einer Verurteilung gezwungen seien. Wer gegen das Gesetz vorgehen wolle, müsse dies auf politischer Ebene oder vor dem Verfassungsgericht tun.

Sodenn: Am 22. April 2014 ist die Verfassungsbeschwerde eingegangen. Das Gericht prüft zunächst, ob es Bedarf für eine erneute Entscheidung sieht. Und danach heißt es erst einmal: abwarten. Bis zu einem Urteil durch das Bundesverfassungsgericht können durchaus Jahre vergehen.


Was ist die Residenzpflicht?

Auf Grundlage dieses Gesetzes wird allen Asylbewerber_innen und Geduldeten in der BRD vorgeschrieben, wie weit sie sich von dem ihnen zugewiesenen Wohnort wegbewegen dürfen. In den meisten Bundesländern heißt das für die Betroffenen, dass sie das jeweilige Bundesland nicht verlassen dürfen. In Bayern und Sachsen ist dieser Bereich noch weiter eingeschränkt auf die Regierungsbezirke, in bestimmten Fällen sogar bis auf die Landkreise. Prinzipiell gibt es die Möglichkeit, Sondergenehmigungen zur "Ausreise" zu erhalten, allerdings sind die Anträge hierfür oftmals kostenpflichtig und es liegt im Ermessen der jeweils zuständigen Behörde, ob die vorliegende Begründung für die Residenzpflichtbefreiung "ausreichend" ist. Folglich zeigt die Praxis, dass die wenigsten Anträge erfolgreich sind.

Die Residenzpflicht existiert EU-weit neben Deutschland nur noch in Österreich, wo sie auf eine bestimmte Phase des Asylantragsverfahrens beschränkt ist und damit lange nicht so umfassend gilt wie in der BRD. Die deutsche Geschichte dieses Gesetzes lässt sich außerdem bis zur Kolonialzeit zurückverfolgen: In Togo war es der Bevölkerung verboten, ihren jeweiligen Wohnort ohne eine kostenpflichtige Sondergenehmigung zu verlassen. So kontrollierten und beschränkten die deutschen Kolonialbehörden die Organisierung der Bevölkerung, um jedem Widerstand zuvorzukommen. Dies ist in gewisser Hinsicht vergleichbar mit der heutigen Situation von Asylsuchenden in Deutschland: Die Residenzpflicht macht es nahezu unmöglich, sich zu organisieren. In ihrer jetzigen Form besteht die Regelung seit 1982 und ist im §56 des Asylverfahrensgesetzes festgeschrieben. Wer zum zweiten Mal gegen sie verstößt, hat rechtlich bereits eine Straftat begangen.

Weiter Infos bekommt ihr hier: http://strikeregensburg.wordpress.com/


1 Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. April 1997 (BVerfG, 2 BvL 45/92, BVerfGE 96, 10).

2 Das vollständige Plädoyer von Herrn Kalali sowie das Plädoyer der Anwältin und weitere Informationen zur Verhandlung finden sich online unter  http://strikeregensburg.wordpress.com/2013/12/03/berufungsverhandlunggegen-residenzpflicht/

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