Mit der Veröffentlichung eines so genannten Extremographen hat der Inlandsgeheimdienst des Landes Brandenburg ein neues Diskreditierungslevel linken politischen Engagements erreicht: Auf der Übersichtskarte, auf der die „extremistischen Strukturen und Standorte“ dieses Bundeslandes grafisch dargestellt werden, wird beispielsweise das Logo der strömungsübergreifenden linken Schutz- und Solidaritätsorganisation Rote Hilfe e.V. direkt neben jenes der nazistischen NPD gesetzt; in Brandenburg gibt es fünf Ortsgruppen der Roten Hilfe (in Cottbus, Königs Wusterhausen, Neuruppin, Potsdam und Strausberg).
Doch damit nicht genug: Die dazugehörige Legende führt die dargestellten Organisationen ohne sichtbare Trennung oder auch nur Kennzeichnung auf; ob sich eine Gruppierung eher dem linken Spektrum oder dem Milieu faschistischer Kampfbundformationen zuordnet, spielt überhaupt keine Rolle mehr.
Der einzige gemeinsame Nenner all dieser willkürlich aufs Schaubild gesetzten Zusammenschlüsse ist ihre inlandsgeheimdienstliche Brandmarkung als „extremistisch“.
Was neurechten Gruppierungen jahrzehntelang nicht gelungen ist, nämlich die geschichtsrevisionistische Gleichsetzung von nazistischen Organisationen, die Staat und Gesellschaft erneut in die Barbarei führen wollen, und linken Gruppen, deren politisches Engagement im emanzipatorischen Sinne über die derzeit herrschenden Verhältnisse hinausweist, vollzieht der so genannte Verfassungsschutz (VS) mit einer ideologisch grundierten Konsequenz, die bis in die untersten Verwaltungsebenen hinein folgenreiche Wirkung zeigt. Dabei soll es im öffentlichen Diskurs zu einer hegemonialen Verwendung des entwissenschaftlichten Terminusʼ „Extremismus“ kommen, einem kampfbegrifflichen Wurmfortsatz der bereits widerlegten Totalitarismustheorie.
Bei der auch mit solchen „extremographischen“ Schaubildern aufwändig betriebenen Synchronisierung angeblich „totaler“ Herrschaftsformen geht es dem VS letztendlich um rechtskonservative „Dämonisierung durch Vergleich“ (Wolfgang Wippermann): in diesem Falle der NS-Staat, für den beispielsweise die NPD oder die „freien“ Kameradschaften stehen, und die DDR, die als „zweite deutsche Diktatur“ bezeichnet wird und deren ehemalige Repräsentant_innen angeblich von der Roten Hilfe unterstützt werden. Der VS ist als Inlandsgeheimdienst zum institutionalisierten Umsetzer der inkonsistenten Extremismustheorie in die Praxis und infolgedessen zum „modernen Dienstleistungsunternehmen“ für den „demokratischen Rechtsstaat“ BRD geworden. Zu den operativen Kerngeschäften dieses „modernen Dienstleistungsunternehmens“, das logisch-konsequent keiner staatlichen oder gar unabhängigen gesellschaftlichen Kontrolle unterworfen werden kann, gehört die eindeutige Positionierung im „Extremismus“-Diskurs, die Aufrechterhaltung wirkmächtiger, denunziatorischer Propaganda und die Etablierung erfolgreicher, breit angelegter Bildungsarbeit. Der VS besitzt nach wie vor die Definitionshoheit darüber, welche Teile der bundesrepublikanischen Bevölkerung sich außerhalb der so genannten freiheitlichen demokratischen Grundordnung (fdGo) und damit außerhalb des politischen Diskurses befinden. Für ihn ist die fdGo ein unveränderliches Naturgesetz, welches objektiv feststeht und keiner gesellschaftlichen Diskussion bedarf, auch wenn er selbst faschistische Gruppierungen und deren Aktivist_innen systematisch vor ermittlungsbehördlichem Zugriff schützt. Bis heute beschäftigt dieses für den „Extremographen“ verantwortliche Landesamt für Verfassungsschutz Brandenburg unter Innenminister Dietmar Woidke beispielsweise einen V-Mann-Führer, der zuständig war für den erfolgreich angeworbenen V-Mann mit dem Tarnnamen „Piato“. Dieser „Piato“ war wegen eines brutalen rassistischen Angriffs auf einen Asylbewerber aus Nigeria, bei dem dieser fast zu Tode gekommen war, zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt und dann vom Brandenburger VS noch vor Beendigung seiner Haftzeit aus der Justizvollzugsanstalt geholt worden - um sodann, wieder in Freiheit, seine nazistischen Aktivitäten unter inlandsgeheimdienstlichem Schutzschild fortzusetzen.
Trotz alledem präsentiert sich der „Verfassungsschutz“ permanent als wirkungsvoller Hüter der angeblich von Feinden umgebenen „wehrhaften Demokratie“. Dabei ist er seit mehr als sechs Jahrzehnten historisch gewachsener Teil eines scheinwissenschaftlich aufbereiteten Inklusions- und Exklusionssystems strukturell fest eingeschriebener Verwertungslogik - und damit grundsätzlich nicht „demokratisierbar“; er nimmt den reaktionären Auftrag wahr, die Herbeiführung eines radikalen Wandels gesellschaftlicher Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse präventiv und proaktiv zu verhindern. Selbstverständlich auch mit solch einer grafisch professionell aufbereiteten Gleichsetzung vollkommen unterschiedlich ausgerichteter politischer Zusammenhänge.
Die Rote Hilfe e.V. verwahrt sich dagegen, in einem Atemzug genannt zu werden mit der nazistischen NPD oder faschistischen „freien“ Kräften. Linkes politisches Engagement führt weder in die Barbarei noch hebelt es auf terroristische Weise die Menschenrechte aus.
Löst den Verfassungsschutz auf!
Göttingen, den 02.07.2013