Der Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V. wurde Mitte Juni 2013 vom Innenausschuss des Thüringer Landtags gebeten, im Rahmen eines offiziellen Anhörungsverfahrens zu dem Beratungsgegenstand "Thüringer Gesetz zur Änderung des Polizeiaufgaben- und Ordnungsbehördengesetzes - Gesetzentwurf der Landesregierung" bis zum 30. August 2013 (Einsendeschluss) ein Gutachten anzufertigen. Diesem Wunsche sind wir nun nachgekommen und haben fristgerecht eine ausführliche Stellungnahme erarbeitet, die hier im Folgenden nachzulesen ist.
Anhörungsverfahren zu PAG Thüringen, Landtags-Drucksache 5/6118
Stellungnahme der Roten Hilfe
Vorbemerkung
Die Rote Hilfe e.V. ist gebeten worden, ein Gutachten zum geplanten neuen Polizeiaufgabengesetz in Thüringen zu verfassen. Zunächst einmal ist festzustellen, dass das Polizeigesetz in der geplanten Form sich praktisch ausschließlich an den Wünschen der Polizei orientiert. Durch immer neue Befugnisse soll die polizeiliche Arbeit erleichtert und zweifelhafte Praxen auf juristisch verlässliche Füße gestellt werden. Dieses Programm ist eine politische, unserer Ansicht nach bedauerliche Wahl, die zudem in dem Übermaß an Eingriffsbefugnissen mit regelmäßig normenunklaren Beschränkungen selbst noch das Ziel verfehlt, die Arbeit der Polizei vor Ort zu erleichtern. Polizeiliche Arbeit ist jedoch per definitionem als exekutive Maßnahme mit Einschränkungen der Grundrechte der Bürger_innen verbunden. Umgekehrt sind die Grundrechte Schutzrechte des Einzelnen gegen Übergriffe des Staates. Aus diesem Gedanken heraus wäre ein Polizeigesetz denk-und wünschbar, das diese Schutzrechte des Einzelnen gegenüber polizeilichen Maßnahmen in den Vordergrund stellt, statt jeweils der Polizei das Äußerste zuzugestehen, was verfassungsrechtlich tragbar erscheint – und, wie das regelmäßige Scheitern von Polizeigesetz-Novellen in Karlsruhe zeigt, noch deutlich mehr.
Dies näher zu erläutern sind verschiedene Grundrechtsorganisationen ebenfalls als Gutachterinnen vorgesehen. Wir werden uns in unserer Stellungnahme deshalb darauf beschränken, auf Punkte hinzuweisen, in denen polizeiliche Maßnahmen dazu geeignet sind, emanzipatorische linke Bewegungen einzuschränken und deren Protagonist_innen in ihren Rechten zu beschneiden. Insbesondere ist unser Anliegen, Grundrechtseingriffe nicht nur auf ihre Verträglichkeit mit dem Schutz des „Kernbereichs der persönlichen Lebensgestaltung“ hin zu prüfen, sondern die Feststellung des Bundesverfassungsgerichtes von 1983, nach der „[w]er unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden,“ versuchen wird, „nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen“ (1 BvR 209, 269, 362, 420, 440, 484/83), ernst zu nehmen: Viele der in der vorgelegten Novellierung vorgeschlagenen Normen haben erhebliches Potenzial, Unsicherheiten im Sinne des Volkszählungsurteils zu schaffen und den Druck zu obrigkeitsstaatlicher Konformität weiter zu erhöhen. An dieser Feststellung kann auch die Tatsache nichts ändern, dass viele der neuen Befugnisse anderen Polizeien bereits zugestanden sind und auch von der Thüringer Polizei bereits genutzt wurden. Hinzu tritt verschärfend, dass sich Eingriffsbefugnisse in Polizeigesetzen der Länder grundsätzlich im Bereich der Gefahrenabwehr bewegen, sich also gegen Personen richten, die strafrechtlich nicht zu belangen sind. Die Tendenz, gegen in diesem Sinn Unschuldige schwerstes Geschütz wie die Erstellung von Bewegungs- und Kommunikationsprofilen oder die Verwanzung von Wohnungen und Computern zu sanktionieren, hat leider die einschlägige Rechtsentwicklung der letzten Jahrzehnte bundesweit dominiert. Es ist daher um so wesentlicher festzustellen, dass auf diese Weise der Polizei im Umgang mit der Öffentlichkeit allzu scharfe Waffen in die Hand gegeben werden, die – drastisch etwa in Sachsen beim Umgang mit den antifaschistischen Kundgebungen in Dresden – regelmäßig in einer Breite eingesetzt werden, die außerhalb des engeren Spektrums autoritätsorientierter Innenpolitik Entsetzen auslöst, soweit die Vorgänge öffentlich werden.
Wir sehen es nicht als unsere Aufgabe an, konkrete Formulierungen für den Gesetzestext vorzuschlagen. Wir werden vielmehr aus unserer Arbeit als Solidaritäts- und Antirepressionsorganisation einige Normen herausgreifen, deren Anwendung in besonderem Maß als politische Repressionsinstrumente dienen. Damit einher geht die – eingestandenermaßen naive – Hoffnung, das Thüringer Polizeigesetz könnte den Trend, Polizeirechte grundsätzlich bis mindestens an den Rand des grundrechtlich Zulässigen auszuweiten, umkehren und stattdessen polizeiliches Handeln zugunsten der Grundrechte aller Bürger_innen beschränken. Dass die Hoffnung nicht ganz naiv ist, zeigen erfreuliche Neuregelungen wie etwa die – dringend auch in Thüringen gebotene – Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamt_innen in Berlin.
Staatstrojaner nach §34a
Geradezu emblematisch für die jenseits jeder Proportion operierende Befriedigung imaginierter Bedürfnisse des Polizeiapparats ist, dass Behörden der Einbruch in Computer der Bürger_innen gestattet werden soll, und zwar bereits zur „Abwehr einer gemeinen Gefahr für Sachen“. Die Einschränkung, dieser Einbruch sei nur zum Zugriff auf die Kommunikation zulässig, ist dabei sinnlos – es gibt keine Software, die eine solche Einschränkung umsetzen könnte. Dies ist, nebenbei, kein Zufall, denn Daten werden erst dann zu Kommunikation, wenn sie den Rechner durch die Netzwerksschnittstelle verlassen; dann jedoch sind sie bereits verschlüsselt; und der Einbruch auf den Rechner war umsonst. Umgekehrt kann kein Programm den Daten vor der Verschlüsselung ansehen, dass sie einmal Kommunikation werden. Letztlich ist allerdings die Frage nach der Umsetzbarkeit der Norm zweitrangig: Entweder, der Staat bricht in Computer ein oder er tut es nicht. Tut er es, wird jedes „ungewöhnliche“ Verhalten eines Rechners politisch missliebiger Menschen für diese ein Zeichen von Überwachung, ein Element eines Gefühls von totaler Überwachung. Der Staatstrojaner macht sozusagen die alltäglichen EDV-Probleme zum Hebel politischer Einschüchterung. Angesichts der wirklich sehr bescheidenen „Erfolge“, die vergleichbare Befugnisse anderen Polizeien gebracht haben, ist dies ein hoher, in politischer Partizipation und Vertrauen in rechtsstaatliche Standards zahlbarer Preis.
Der einzige Platz für Staatstrojaner und verwandte Technologien in einem grundrechtsrespektierenden Rechtsstaat ist der Giftschrank der für den Staat verbotenen Versuchungen. Nicht jede Handlung der Bürger_innen muss polizeilicher Überwachung zugänglich sein – um so weniger, als es in Thüringen keine Hinweise auf Gefahren gibt, zu deren Abwehr derart drastische Eingriffe geeignet, erforderlich und angemessen wären.
„Zuverlässigkeitsprüfung“ nach §41a
Die Rote Hilfe ist entsetzt über die Verrechtlichung des nach übereinstimmender Einschätzung von Bürgerrechtler_innen und Datenschützer_innen (vgl. etwa 21. TB BfDI, 2006) zumindest nicht verhältnismäßigen Missbrauchs von Polizeidatenbanken zur Filterung von Bewerber_innen für Tätigkeiten weit unterhalb der Schwelle der Sicherheitsüberprüfungen. Abgesehen davon, dass wirklich nicht erkennbar ist, warum es Geschäft der Polizei sein sollte, bei der Auswahl von Würstchenverkäufer_innen (und dies ist kein Scherz) oder privatem Wachpersonal zu helfen, hat die vorgeschlagene Norm im Hinblick auf den ohnehin wachsenden Strafcharakter eines Eintrags in Polizeidatenbanken eine enorme Tragweite.
Wer damit rechnen muss, dass eine Teilnahme an einer Demonstration – und mehr braucht es für eine Speicherung nicht, vgl. auch einschlägige Rechtsprechung und Praxis bei der Speicherung von nach §170 II StPO eingestellten Verfahren – auf Jahre hinaus einem Berufsverbot in weiten Bereichen des Dienstleistungsgewerbes gleichkommt, wird sein bzw. ihr politisches Engagement entsprechend gestalten. Dass die vorgeschlagene Norm jeder Zweckbindung Hohn spricht, ist da nur noch Fußnote.
Die „Zuverlässigkeitsprüfung“ darf nicht verrechtlicht, der Missbrauch polizeilicher Daten zur Personalauswahl hingegen muss explizit verboten werden. Das Sicherheitsüberprüfungsgesetz ist mehr als hinreichend zur Kontrolle des Zugangs zu „sicherheitsempfindlichen“ Tätigkeiten; einer weiteren Senkung des Standards, was noch „sicherheitsempfindlich“ ist, darf der Gesetzgeber nicht entgegenkommen.
Gerichtsvorbehalte, Einwilligungsklauseln
An mehreren Stellen ist dem Entwurf das schlechte Gewissen anzumerken, das die Autor_innen angesichts überbordender Zugeständnisse an die Polizei beschlichen hat; Zeugnis davon legen die Regelungen ab, die eine Anordnung von Maßnahmen durch Gerichte verlangen. Die Erfahrung der Roten Hilfe zeigt jedoch, dass die Kontrollfunktion solcher Regelungen zwar vorhanden ist – verglichen etwa mit der Beliebigkeit, mit der Platzverweise ausgesprochen werden, finden Hausdurchsuchungen in vergleichsweise moderatem Rahmen statt –, sie aber nicht überschätzt werden sollte; klassisch hier ist etwa die Untersuchung von Backes und Gusy (2003), nach der von 500 untersuchten Anordnungen zur Telefonüberwachung fast vier Fünftel noch nicht einmal auf einen formal korrekten Antrag hin erfolgten; inhaltliche Überprüfungen hatten da noch gar nicht stattgefunden. Da über 95% der Beschlüsse im Wesentlichen die Anträge kopierten, sollten Erwartungen in dieser Hinsicht auch eher bescheiden bleiben. Selbst bei für die Betroffenen typischerweise einschneidenden Maßnahmen wie Hausdurchsuchungen ist die Sorgfalt nach analogen Untersuchungen nur wenig höher. Daher lehnen wir Befugnisse, die nur aufgrund eines Gerichtsvorbehalts überhaupt als verhältnismäßig erscheinen, ab; so tiefe Eingriffe in Grundrechte sollten zur Gefahrenabwehr gewiss nicht nötig sein.
Nach Erfahrungen mit analogen Regeln andernorts haben ebenfalls keinen Platz in Polizeigesetzen Einwilligungsklauseln wie in §41a. Abgesehen davon, dass in den typischen Situationen, in denen „Zuverlässigkeitsprüfungen“ durchgeführt werden – Einstellungen zu prekären Jobs – von Freiwilligkeit ohnehin keine Rede sein kann, sind „normale“ Personen im Kontakt mit der Polizei auch sonst nur selten in der Lage, dem obrigkeitlichen Wunsch nach Einwilligung nicht zu entsprechen. Nur so ist etwa zu erklären, dass 90% der Speicherungen in der DNA-Analyse-Datei mit Einwilligung und also ohne gerichtliche Prüfung vorgenommen werden (28. TB LfD BaWü, 2007).
„Gefahr im Verzug“
Die in der Novellierung mehrfach auftretende Einschränkung von Schutzrechten aufgrund von „Gefahr im Verzug“ dient in der Praxis regelmäßig als Universalhebel, die den handelnden Polizeibeamt_innen jede denkbare Handlung gestattet und sie einer wirksamen juristischen Begründung und Überprüfung enthebt: Wer wegen eines Unterbindungsgewahrsams nicht an einer Demonstration teilnehmen kann, hat dazu später keine Gelegenheit mehr, das traumatisierende Erlebnis eines auch kurzen Gefängnisaufenthalts ist selbst durch eine spätere milde Rüge eines Gerichts nicht wieder gutzumachen. Zudem führt die nachträgliche Feststellung der Unrechtmäßigkeit des polizeilichen Handelns in der Regel zu keinerlei praktischen Konsequenzen für Verantwortliche wie Einsatzkräfte. Dementsprechend haben einschlägige Urteile auch keinen merkbaren Einfluss auf das Vorgehen der Einsatzleitungen sogar in sehr analogen Situationen. Die ausufernde Nutzung des eigentlich für Notsituationen vorgesehenen Instruments lässt eigentlich nur den Schluss zu, dass die Polizei mit einer solchen Generalvollmacht überfordert ist und Gefahr-im-Verzug-Klauseln daher grundsätzlich zu streichen sind.
Benachrichtigung und Auskunft (§§36 (3f), 47)
Die Rechtshilfepraxis zeigt, dass eine Benachrichtigung Betroffener über gegen sie gerichtete Überwachungsmaßnahmen die große Ausnahme ist. Aus unserer Sicht sind daher an die StPO angelehnte Benachrichtigungsregeln wie in §36 vorgesehen weitgehend wertlos – „überwiegende schutzwürdige Belange einer betroffenen Person“ finden sich offenbar immer, die Vermutung, es liege bei den Überwachten „kein Interesse an einer Benachrichtigung“ vor, scheint den Behörden sehr nahe zu liegen, und ohnehin gefährdet jede Benachrichtigung den Zweck der Maßnahme. Wenn der Gesetzgeber tatsächlich Überwachungsapparate transparent machen will, müssen §36, Absätze 3 bis 6, im Wesentlichen zusammengekürzt werden auf „Betroffene werden innerhalb 72 Stunden nach Ende der Maßnahme benachrichtigt. Ausnahmen müssen vor einem dazu zu bestimmenden Gericht, das nicht weiter mit dem Fall beschäftigt ist, beantragt werden.“
Der bestehende Text hingegen ist eine Mogelpackung und wird am bestehenden Zustand faktisch nicht vorhandener Benachrichtigungspflichten nichts ändern. In diesem Zusammenhang möchten wir anmerken, dass die thüringische Polizei auf Auskunftsersuchen nach §47 durchweg ohne jedes Empfinden für Grundrechte antwortet; auch im Vergleich mit ausnahmslos allen analogen Behörden bundesweit fällt das LKA durch penetrante Fragen nach Gründen für die Anfrage – als wäre „Misstrauen gegen korrekte Datenhaltung“ angesichts der endlosen Pannen im Bereich DV nicht ausreichend – und schnoddrige Ablehnung einer „Pauschalauskunft“ – wobei völlig unklar ist, worauf sich die Zuständigen da beziehen – ausgesprochen unangenehm auf. Die Novellierung des PolG sollte genutzt werden, um dem LKA ein klares Signal zu geben, dass der Gesetzgeber ein Höchstmaß an Transparenz wünscht. Dazu geeignet wäre die Umformulierung von §47 (1) in „Die Polizei erteilt dem Betroffenen auf Antrag umfassend Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten, ihre Herkunft sowie eventuelle Übertragungen. Wann immer möglich, soll die Auskunft in Form eines Auszuges aus der Datenbank gewährt werden.“ Angesichts der derzeit wirklich ausgesprochen unbefriedigenden Situation ist jedoch jedes Signal an das LKA, die Auskunftspflicht ernster zu nehmen, hochwillkommen.
Bildaufzeichnung nach §33
Der vorliegende Entwurf verpasst die Gelegenheit, §33 zu novellieren, obwohl dies dringend nötig wäre. Die Praxis bei der polizeilichen Beobachtung von Kundgebungen und Demonstrationen ist völlig außer Kontrolle geraten, es gibt kaum mehr eine öffentliche Veranstaltung, die nicht von polizeilichen Kameras beobachtet wird. Die einschüchternde Wirkung dieser Kameras, selbst, wo sie nicht aufzeichnen, ist enorm, wodurch §33 zu einer so drastischen Einschränkung der Versammlungsfreiheit geworden ist, dass schon aus Grundrechtsperspektive Abhilfe geboten ist. Zunächst ist die Schwelle, die Videoaufzeichnungen bereits bei der Entstehung von „Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung“ zulässt, weitaus zu niedrig angesetzt. Wie leicht diese zu konstruieren sind, zeigt etwa die ohnehin fragwürdige Passage im Versammlungsgesetz, die als „Vermummungsverbot“ bekannt geworden ist. Zwar wurde in den vergangenen Jahren von verschiedenen Gerichten festgestellt, dass durchaus legitime und auch legale Anlässe existieren, die politisch aktive Menschen dazu bewegen können, ihr Gesicht vor Kameras zu verbergen, insbesondere seit in Deutschland Neonazis gezielt „schwarze Listen“ von Gegner_innen anlegen. Dennoch dient Vermummung der Polizei regelmäßig als Anlass, Kundgebungen in nachgerade erniedrigendem Ausmaß mit Film- und Fotoaufnahmen zu dokumentieren. Mithin muss zur Aufrechterhaltung eines nicht nur formalen Rechts auf öffentliche Versammlung, soweit polizeiliche Bildaufzeichnungen bei Aufzügen überhaupt zugestanden werden sollen, die Schwelle weit höher gelegt werden als die weitgehend willkürlich bestimmbar Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder selbst Trivialkriminalität. Aufgabe eines Polizeigesetzes sollte auch hier der besondere Schutz politischer Meinungsäußerung sein, nicht deren weitere Einschränkung. Regelmäßig wird von Einsatzleitungen der Polizei auch behauptet, Filmaufnahmen dienten nicht der Speicherung von Daten, sondern lediglich zur Live-Übertragung in die Einsatzzentrale oder auch zur Eigensicherung. Solche Unterscheidungen sind realitätsfern und darüber hinaus faktisch nicht überprüfbar. Daher ist generell der Einsatz von Kameras streng zu reglementieren und der Willkür der jeweiligen Einsatzleitung zu entziehen. Im Hinblick auf die Freiheit des öffentlichen Raums würden wir weiter begrüßen, wenn die Novellierung auch §33 (2) streichen würde – die stete Kameraüberwachung des öffentlichen Raumes ist im oben zitierten Sinne des Volkszählungsurteils höchst einschüchternd und dabei, was Kriminalitätsbekämpfung angeht, weitgehend wirkungslos (dazu etwa Martin Gill et al: "The Impact of CCTV: fourteen case studies," UK Home Office Online Report 15/05).
Einsatz Verdeckter Ermittler_innen nach §34
Die in §34 aufgelisteten besonderen Mittel der Datenerhebung, insbesondere der Einsatz von Verdeckten Ermittler_innen, stellen durchweg massive Eingriffe in die verfassungsmäßig garantierten Grundrechte dar. Im speziellen Fall der Verdecken Ermittler_innen tritt besonders erschwerend hinzu, dass allein die Befugnis bereits eine Atmosphäre gegenseitigen Misstrauens in politischen Zusammenhängen schafft – wer jederzeit damit rechnen muss, dass der/die Mitaktivist_in in Wirklichkeit Informant_in oder Polizeibeamt_in ist, wird im Handeln und Denken ganz drastisch und im erwähnten Sinne des Volkszählungsurteils eingeschränkt. Abgesehen davon, dass der Einsatz von unter Legende auftretenden Ermittler_innen ein genuin geheimdienstliches Mittel darstellt und mithin die Trennlinie zwischen Geheimdiensten und Polizeien weiter verwischt wird, öffnet die vorgeschlagene Norm der lückenlosen Überwachung missliebiger politischer Strukturen Tür und Tor. Die Voraussetzungen sind so schwammig formuliert, dass durch die „Abwehr einer gemeinen Gefahr für Sachen“ selbst der Verdacht auf Alltagsstraftaten wie Sachbeschädigungen ausreichen kann, um ein weitgefasstes politisches und soziales Gefüge durch verdeckt ermittelnde Beamt_innen umfassend zu durchleuchten. Die Zahl der potenziell Betroffenen wird auf das gesamte politische, soziale und familiäre Umfeld ausgedehnt, indem ohne nähere Differenzierung alle „Personen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie für die für die Gefahr Verantwortlichen bestimmte oder von diesen herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben“, zur Überwachung freigegeben werden. Wohin diese Minimierung der gesetzlichen Voraussetzungen führen kann, zeigt das Beispiel des Verdeckten Ermittlers „Simon Brenner“ in Heidelberg, der 2010 über neun Monate hinweg die gesamte linke Szene durchleuchtete, Akten über mehrere Hundert Aktivist_innen anlegte, letztlich aber keinerlei Hinweise für die vermutete Gefahr einer drohenden Straftat finden konnte.
Fazit
Aus bürgerrechtlicher Sicht wäre es wünschenswert, die weitere Beratung dieses Gesetzentwurfs einzustellen. Eine zweifellos notwendige Novellierung des Polizeigesetzes, die eine angemessene Berücksichtigung des Grundrechtsschutzes der Bürger_innen in den Mittelpunkt stellen würde, würde keine Ähnlichkeit mit dem vorgelegten Papier haben.