Prozesse gegen Klimaaktivist*innen: Neurath-Blockade vor Gericht
Am 5. November 2021 hatten rund 40 Klimagerechtigkeitsaktivist*innen die Gleise zum Kraftwerk Neurath in Nordrhein-Westfalen blockiert und über 14 Stunden hinweg die Kohlezufuhr verhindert. Schon die Räumung der Aktion verlief äußerst brutal: Einen der Menschen, die sich im Gleisbett einbetoniert hatten, verletzten die Einsatzkräfte durch ihr rücksichtsloses Vorgehen und verweigerten eine angemessene medizinische Versorgung. Die Polizei wandte den als „Lex Hambi“ berüchtigten neuen Passus im Landespolizeigesetz an und nahm zehn Blockierer*innen tagelang in Gewahrsam, um sie zur Preisgabe ihrer Identität zu zwingen. Acht der Kohlekraftgegner*innen saßen eine ganze Woche unter schikanösen Bedingungen in den Zellen der Polizeistation.
Vier Aktivist*innen wurden seither Anklageschriften zugestellt. Außer „Störung öffentlicher Betriebe“ wirft die Staatsanwaltschaft ihnen „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ vor, der allein auf dem Anketten im Gleisbett beruht: Durch diese Verankerung in der Blockade sollen die Angeklagten Widerstand geleistet haben, weil die Polizei sie dadurch nicht problemlos räumen konnte.
Ein erster Prozess vor dem Amtsgericht Grevenbroich endete nach sechs Verhandlungstagen am 3. April 2023 mit einem extremen Urteil: Mit einer Haftstrafe über neun Monate ohne Bewährung ging die Richterin noch über die Forderung der Staatsanwaltschaft hinaus, die auf acht Monate plädiert hatte. Begründet wurde die hohe Strafe mit der politischen Überzeugung der angeklagten Person, was auch ein künftiges Engagement gegen die Klimazerstörung nahelege. Der Berufungsprozess ist für den 27. Oktober in Mönchengladbach terminiert.
Nachdem am 15. Mai ein zweiter Prozess wegen der Neurath-Blockade nach wenigen Minuten vertagt wurde, beginnt am 25. September 2023 der Prozess gegen eine dritte Klimagerechtigkeitsaktivistin – wieder mit derselben Richterin, die bereits mit ihrem Urteil Anfang April gezielt ein Exempel statuieren wollte.
„Die staatliche Verfolgung der Klimagerechtigkeitsbewegung läuft auf Hochtouren: Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte bringen ihr gesamtes Repressionsarsenal in Stellung, um die Aktivist*innen einzuschüchtern und Unterstützer*innen abzuschrecken. Immer häufiger werden sogar Haftstrafen verhängt, wie bei den Prozessen in Heilbronn oder in Grevenbroich“, erklärte Anja Sommerfeld vom Bundesvorstand der Roten Hilfe e. V. „Dass die politische Überzeugung der Angeklagten als Begründung für hohe Strafen genommen wird, ist Gesinnungsjustiz wie aus dem Lehrbuch. Wir stehen solidarisch an der Seite der verfolgten Klimagerechtigkeitsaktivist*innen!“
Der Prozess gegen die Klimagerechtigkeitsaktivistin findet am 25. September 2023 ab 11.15 Uhr vor dem Amtsgericht Grevenbroich statt. Ab 10.30 Uhr rufen Unterstützer*innen zu einer Solidaritätskundgebung mit Konzert vor dem Gerichtsgebäude auf.