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Zivilrecht

Rote Hilfe Info zu Zivilrechtsverfahren

In welchen Fällen kann mir das Zivilrecht als Aktivist*in begegnen?

Zivilverfahren beginnen in der Regel mit einem anwaltlichen Schreiben der Gegenseite, der Zustellung einer Klageschrift oder einem Mahnbescheid. In diesen werden Forderungen an euch gestellt. Bei den Fällen, die linken Aktivismus betreffen, handelt es sich vorwiegend um Schadenersatzforderungen und Aufforderungen, bestimmte Handlungen oder Äußerungen in Zukunft zu unterlassen.

Die für die linke Praxis relevanten Fälle betreffen Schadenersatzforderungen wegen Sachschäden, wirtschaftlichen Schäden (vor allem Nutzungsausfall wegen Besetzungen), Lohnfortzahlung (insbesondere wegen bei Aktion verletzter Cops) und natürlich Schmerzensgeld.

Unterlassungsaufforderungen begegnen uns meistens nach Besetzungen oder Outings von Faschist*innen/Nazis sowie Outcalls von Täter*innen sexualisierter Gewalt. Am häufigsten tauchen in der aktivistischen Praxis allerdings Schadenersatzforderungen wegen kleinerer Sachschäden auf, wie beschädigte Türen/Schlösser bei Besetzungen, Kosten für die Beseitigung von Graffiti usw.

Zivilverfahren sind variabel ausgestaltet und ihr Ablauf hängt stark davon ab, wie sich die beiden Parteien verhalten und was der Gegenstand des Verfahrens ist. Es ist daher wichtig, sich zumindest ein wenig mit den Regeln des Zivilverfahrens auseinanderzusetzen und im Fall der Fälle sofort Kontakt zu lokalen Antirepressionsstrukturen aufzunehmen. So können wir gemeinsam überlegen, wie mit dem Verfahren umzugehen ist, und euch an solidarische Anwält*innen verweisen – denn bei Verfahren vor den Landgerichten, Oberlandesgerichten und dem Bundesgerichtshof besteht ohnehin Anwaltspflicht.

Eine besonders wichtige Frist, die ihr nicht verschlafen solltet, wartet direkt am Start eines Zivilverfahrens: Wird eine Klageschrift oder ein Mahnbescheid zugestellt, läuft eine Frist von zwei Wochen, in der auf den Bescheid reagiert und die sogenannte „Verteidigungsbereitschaft“ erklärt werden muss. Geschieht dies nicht rechtzeitig, kann ein Versäumnisurteil gegen euch ergehen, das euch zur Zahlung/Unterlassung verpflichtet, wenn die Klage der Gegenseite hinreichend schlüssig ist. Allerdings habt ihr erneut zwei Wochen Zeit, um euch gegen das Versäumnisurteil mit einem Einspruch zu wehren. Der Ablauf des dann folgenden Zivilprozesses kann im Vorfeld leider kaum schematisch umrissen werden, weil zu viele Handlungsmöglichkeiten und Variablen für beide Parteien bestehen. Dieser Flyer vermittelt euch daher nur einen groben Überblick, was ihr zu Beginn eines Zivilverfahrens auf dem Schirm haben solltet.

Wie kann solidarisches Verhalten im Zivilverfahren aussehen?

Wie in eurem Alltag solltet ihr euch auch im Zivilprozess solidarisch verhalten. Auch wenn es euch getroffen hat, gemeint ist die Politik, für die ihr steht.

Im Zivilprozess gilt grundsätzlich, dass die Klagepartei alles beweisen muss, was ausdrücklich von der beklagten Partei (also euch) bestritten wird. Das betrifft in der Regel alle Tatsachen, die die geltend gemachten Forderungen begründen. Tatsachen, die der Forderung entgegenstehen, sind hingegen von der beklagten Partei zu beweisen. So muss die*der Kläger*in beispielsweise nachweisen, dass ihr solidarische Botschaften an inhaftierte Genoss*innen an ihre Hauswand gesprayt habt, will sie von euch Schadenersatz für die Reinigung ihrer Hausfassade haben. Gelingt ihr das nicht, bedeutet dies, dass sie ihre Beweispflicht nicht erfüllt hat und keinen Schadenersatz von euch verlangen kann. Ein wichtiges Beweismittel kann auch die Akte eines zuvor geführten Strafverfahrens sein, die (in Teilen) als Urkunde zum Zivilverfahren beigezogen werden kann.

Es ist möglich und reicht in der Regel zunächst auch aus, die Behauptungen der Gegenseite zu bestreiten und abzuwarten, ob sie ihre Behauptungen beweisen kann. Dieses sogenannte „einfache Bestreiten“ bedeutet, dass ihr schlicht anzweifeln könnt, ob die Behauptungen der Gegenseite der Wahrheit entsprechen oder hinreichend plausibel sind, sodass die Gegenseite (weitere) Beweise vorlegen muss. Je umfangreicher die Gegenseite zum Sachverhalt jedoch vorträgt, desto umfangreicher müsst ihr eure Zweifel am Wahrheitsgehalt der Behauptungen der Gegenseite begründen, um die Behauptungen wirksam zu bestreiten (sogenanntes „qualifiziertes Bestreiten“). Im Zivilverfahren besteht jedoch keine Pflicht auszusagen und solange wie möglich sollte der Vortrag der Gegenseite schlicht einfach bestritten werden. Schweigen kann allerdings zur Folge haben, dass die klagende Partei obsiegt, weil deren Vortrag nicht widerlegt werden konnte. Mit Ordnungsgeld bedrohte Aussagepflichten bestehen im Zivilrecht nur für Zeug*innen.

Unabhängig davon, ob es sich um Zivilrecht oder Strafrecht handelt gilt, dass Öffentlichkeitsarbeit und solidarisches Verhalten von euch und euren Genoss*innen vor, während und nach dem Prozess wichtig sind. Wahrt eure politische Haltung, informiert eure Genoss*innen und die Öffentlichkeit über den Prozess und kämpft gegen die Kriminalisierung politischer Aktionen!

Was ihr sonst noch wissen solltet:

Es kommt häufig vor, dass die zivilrechtlichen Forderungen direkt im Strafprozess mitverhandelt werden. Das wird „Adhäsionsverfahren“ genannt. In diesen Verfahren gilt allerdings die Strafprozessordnung inklusive des Rechts auf Aussageverweigerung. Wie im Strafprozess üblich, wird von Amts wegen ermittelt, das heißt, dass die Beweisführung von Polizei und Staatsanwaltschaft erfolgen muss. Die private Klagepartei kann dabei als „Nebenkläger*in“ auftreten.

Solidarität organisieren!

In Zivilverfahren können verschiedene Hürden auftauchen, wie beispielsweise Versäumnisurteile (bei Fristversäumnis oder Nichterscheinen vor Gericht), mitunter sehr hohe Geldforderungen und die drohende Unterwerfung unter Zwangsvollstreckung nach einem verlorenen Prozess, das heißt unter die Vollstreckung zivilrechtlicher Urteile mit staatlicher Hilfe.

Zwar ermittelt in Zivilverfahren nicht die Staatsanwaltschaft oder Polizei, dennoch müssen diese Verfahren und entsprechende Schreiben ernst genommen werden. Nehmt zeitnah Kontakt zu eurer lokalen Antirep-Gruppe wie der Roten Hilfe oder solidarischen Anwält*innen auf. Und lasst eure Genoss*innen, die mit Zivilprozessen konfrontiert sind, nicht allein!