Die neue Rote Hilfe Zeitung ist erschienen. Schwerpunkt der Ausgabe: Aktion und Kunst im öffentlichen Raum.
Ihr könnt die Zeitung im Bahnhofsbuchhandel kaufen oder im Literaturvertrieb bestellen. Mitglieder bekommen die Zeitung zugeschickt.
Außerdem ist sie wie alle Ausgaben seit 3/2011 auch als PDF-Download verfügbar.
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Heute fand vor dem Familiengericht Oberhausen (NRW) ein Prozess gegen die kurdische Aktivistin und fünffache Mutter Zozan G. statt. Ihr wurde von Seiten des Staatsschutzes Düsseldorf Kindeswohlgefährdung vorgeworfen. Dieser Einschätzung war das Jugendamt nicht gefolgt, trotzdem wurde ein Prozess angestrengt. Hintergrund der Vorwürfe war die Teilnahme einer minderjährigen Tochter an mehreren kurdischen Demonstrationen, deren Personalien unter anderem bei einer Demonstration am Düsseldorfer Landtag zur Unterstützung des Hungerstreiks gegen die Isolationshaft des PKK-Gründers Abdullah Öcalan aufgenommen worden waren.
Bundesweit hatten sich zahlreiche linke Initiativen mit Zozan G. solidarisiert und die Einstellung dieses eindeutig politisch motivierten Prozesses gefordert. Heute versammelten sich rund 100 Demonstrant*innen vor dem Gericht, um Zozan G. zur Seite zu stehen. Nach etwa zweieinhalb Stunden wurde das Verfahren ohne weitere familiengerichtlichen Maßnahmen beendet. Es wurde sich stattdessen auf eine Verpflichtungserklärung der Eltern geeinigt.
Rote Hilfe e.V. fordert sofortige Freilassung aus der U-Haft
Seit dem heutigen Montag, 20. Januar 2020, ist ein Gefangener in Leipzig im Hungerstreik, um die Freilassung der drei Inhaftierten zu erkämpfen. Mit der Aktion protestiert er gegen ihre anhaltende Inhaftierung seit der Silvesternacht, bei der es zu Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und feiernden Anwohner*innen im Stadtteil Connewitz kam. Die Zuspitzung des Konflikts wurde nicht zuletzt durch das martialische Auftreten der Einsatzkräfte und deren teilweise äußerst brutales Vorgehen angeheizt, etliche Bewohner*innen des alternativ geprägten Viertels wurden Opfer massiver Polizeiübergriffe. Schon im Lauf des Abends verbreitete die Einsatzleitung Falschmeldungen über die Schwere der Verletzungen der beteiligten Beamt*innen und beschwor das Schreckensbild eines angeblichen Linksterrorismus, der sich in der Silvesterparty in Connewitz Bahn gebrochen habe. Dieses Zerrbild, das vielfach aufgegriffen wurde, dient seither zur massenhaften Kriminalisierung von Feiernden und insbesondere linken Aktivist*innen.
Am 22. Januar 2020 findet ein Prozess gegen Zozan G. wegen vermeintlicher Kindeswohlgefährdung statt. Der fünffachen Mutter wird vorgeworfen, ihre Kinder indoktriniert zu haben. Ein erster Gerichtstermin hat bereits stattgefunden; bei einem weiteren Termin wurden die Kinder – der jüngste Sohn ist vier Jahre alt – vom Gericht befragt.
Hintergrund der Vorwürfe ist das Engagement von G. für die Belange der kurdischen Bevölkerung. Zozan G. tritt seit Jahren bei Demonstrationen gegen die türkische Kriegspolitik als Rednerin auf. Auch eine der Töchter engagiert sich und nimmt an politischen Versammlungen teil. Weil sie minderjährig ist, versucht der Staatsschutz Düsseldorf, die Familie zu kriminalisieren. Konkret geht es um die Teilnahme der Tochter von Zozan G. an einer Demonstration vor dem Landtag in Düsseldorf, bei dem sich die Teilnehmenden mit dem Hungerstreik von politischen Gefangenen in der Türkei solidarisierten. Der Hungerstreik in den türkischen Gefängnissen richtete sich gegen die jahrelange Isolationshaft des PKK-Gründers Abdullah Öcalan und forderte eine politische Lösung des Konfliktes. Bei der Demonstration vor dem Düsseldorfer Landtag wurden die Personalien der anwesenden Jugendlichen aufgenommen. Dass sie vor Ort waren, soll nach Auffassung der Staatsschutzabteilung ein Indiz für die Kindeswohlgefährdung sein. Obwohl auch das Jugendamt der Stadt Oberhausen dieser Einschätzung widerspricht, findet nun der Gerichtstermin statt.
Am 7. Januar 2020 wurde der Kapitän des Seenotrettungsschiffs „Lifeline“, Claus-Peter Reisch, vom Berufungsgericht in der maltesischen Hauptstadt La Valletta freigesprochen. In erster Instanz war er zu einer Geldstrafe in Höhe von 10.000 Euro verurteilt worden, weil er über 230 Menschen im Juni 2018 vor dem Ertrinken im Mittelmeer bewahrt und nach Malta gebracht hatte. Bei der heutigen Urteilsverkündung konnte das Gericht daran keine kriminellen Absichten erkennen. Außer der Aufhebung der Geldstrafe wird nun auch das Schiff freigegeben, das seither von Malta beschlagnahmt war.
Allerdings steht gegen den Kapitän der Seenotrettungsorganisation „Mission Lifeline“ noch ein zweites Verfahren aus, da er auch von Italien angeklagt wird, wo weit höhere Strafen drohen: außer 300.000 Euro ist eine Haftstrafe von bis zu 20 Jahren möglich, weil Reisch dort mit 104 schiffbrüchigen Migrant*innen an Bord gelandet war. Außerdem hat die Organisation mit weiteren Repressalien zu kämpfen, da kaum ein Staat bereit ist, die Schiffe unter ihrer Flagge fahren zu lassen. Um die hohen Kosten zu decken, sammelt „Mission Lifeline“ Spenden.
Anja Sommerfeld vom Bundesvorstand erklärte dazu: „Das überraschend klare maltesische Urteil stellt nun auch juristisch fest, was jedem Menschen selbstverständlich sein sollte: Seenotrettung ist kein Verbrechen! Damit wurde ein unübersehbares Signal gegen die anhaltende Kriminalisierung dieser Organisationen und Aktivist*innen gesetzt. Wir fordern die anderen europäischen Staaten, insbesondere die italienische Regierung auf, sich an Malta ein Beispiel zu nehmen und die Verfolgung und Hetze endlich einzustellen.“
Spendenkonto:
MISSION LIFELINE e.V.
IBAN: DE85 8509 0000 2852 2610 08
BIC: GENODEF1DRS
Volksbank Dresden e.G.
Bereits seit Anfang Juli 2019 sitzen zwei linke Aktivisten in Hamburg unter dem Vorwurf im Gefängnis, brennbare Flüssigkeit bei sich getragen zu haben, woraus die Staatsanwaltschaft die Vorbereitung einer Brandstiftung konstruiert. Der Haftbefehl gegen die dritte Genossin, die gemeinsam mit ihnen festgenommen worden war, wurde gegen Meldeauflagen außer Vollzug gesetzt.
Am 8. Januar 2020 beginnt nun vor dem Landgericht Hamburg der Prozess. Bisher sind 25 Prozesstermine bis April angesetzt.
Als Begründung für die Inhaftierung und Anklage bemühen die Behörden wieder einmal den angeblichen Bezug zum G20-Gipfel vor mittlerweile zweieinhalb Jahren. Ihnen wird vorgeworfen, zum zweiten Jahrestag der Proteste einen Brandanschlag geplant zu haben.
Die drei Linken waren am 8. Juli 2019 in einer Hamburger Grünanlage auf einer Parkbank festgenommen worden. Es folgte eine nächtliche Durchsuchungswelle in verschiedenen Stadtteilen.
Hierbei gingen die Polizeikräfte nach Berichten der Betroffenen sehr martialisch vor. Wohnungstüren wurden eingetreten, Einrichtungsgegenstände demoliert und die vermeintlichen Aktivist*innen teilweise mit vorgehaltener Waffe aus den Betten geholt.
Der Haftrichter ordnete zwei Tage später Untersuchungshaft für zwei Aktivist*innen an, sie werden seitdem in der JVA Holstenglacis festgehalten.
Prozess um das Verbot der linken Medienplattform linksunten.indymedia steht bevor
Kurz nach dem G20-Gipfel im Juli 2017 wurde die linke Medienplattform linksunten.indymedia unter Berufung auf das Vereinsgesetz verboten. Gegen diese fragwürdige Begründung erhoben die Betroffenen Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Im Januar 2020 beginnt der Prozess.
Die Plattform linksunten.indymedia war eine von zahlreichen Genoss*innen gestaltete freie Webseite für unabhängigen Informations- und Wissensaustausch abseits der herkömmlichen Presselandschaft, auf der Aktivist*innen aus allen linken Bewegungen Nachrichten veröffentlichen konnten. Auch zahlreiche etablierte Journalist*innen nutzten das Medium oft und gern, um sich Informationen zu verschaffen.
Nach der massiven Kritik an staatlicher Repression und Kontrollverlust beim G20-Gipfel benötigten die Repressionsorgane eine Erfolgsmeldung. Bewusst wurde linksunten.indymedia als Ziel mit entsprechendem Symbolcharakter gewählt. Die Plattform galt bei Behörden und Konservativen schon lange als "Stimme der gewaltbereiten Linken"; die beteiligten Aktivist*innen wurden bereits seit Jahren bespitzelt. Mit einer Verbotsverfügung nach dem Vereinsgesetz wähnte sich das Innenministerium auf der sicheren Seite und konnte so die hohen Hürden des Telemediengesetzes umgehen. Allerdings existierte nie ein Verein hinter indymedia.linksunten, es handelt sich um eine Strategie der Repressionsorgane, gegen die nun geklagt wird.
Ein repressives Jahr liegt hinter uns, das geprägt war von massiven Einschränkungen elementarer Grundrechte, einschneidenden Maßnahmen gegen politische Betätigungsmöglichkeiten und staatlichen Angriffen gegen linke Bewegungen. Die Meinungs- und Pressefreiheit wurde in vielfältiger Weise verletzt – angefangen beim Verbot des oppositionellen kurdischen Mezopotamya-Verlags über die zunehmende Behinderung von kritischen Journalist*innen am Rand von Demonstrationen bis hin zum anhaltenden Verbot der linken Online-Plattform linksunten.indymedia, dessen „Rechtmäßigkeit“ am 29. Januar 2020 gerichtlich geklärt wird.
In vielen Bundesländern prägend waren die breiten Proteste gegen die erneuten Verschärfungen von Polizeigesetzen, die den Ermittlungsbehörden umfassende Überwachungsmöglichkeiten, die Verhängung von präventiver Unendlichkeitshaft und die Ausstattung mit Kriegswaffen zugestehen. In den kommenden Monaten werden in weiteren Bundesländern neue Polizeigesetze beschlossen, die dort bereits in den Landtagen diskutiert werden.
Als Reaktion auf den wachsenden faschistischen Terror, der sich immer häufiger in mörderischen Anschlägen auf Synagogen und Moscheen, brutalen Attacken gegen migrantische Menschen und Morden an missliebigen Politiker*innen zeigt, kündigte die Regierung die Erhöhung der Stellen bei Kriminalämtern und Inlandsgeheimdienst an. Damit macht das Innenministerium den Bock zum Gärtner, indem gerade diejenigen Behörden, deren Verwicklungen in neonazistische Terrorbanden in den letzten Jahren regelmäßig für Furore sorgten, als Bastionen gegen Rechts aufgebaut werden sollen: der so genannte Verfassungsschutz war schon durch seine personelle Verquickung mit der Rechtsaußen-Partei NPD Grund dafür, dass deren Verbot scheiterte, und spielte bei den jahrelangen Morden der Naziorganisation NSU eine bis heute nicht aufgeklärte Rolle. Die Polizei, die sich lieber der Hatz gegen Linke widmet, wurde bundesweit durch ihre Mitarbeit bei rechten Umtrieben wie „NSU 2.0“ und dem „Hannibal“-Netzwerk bekannt, nicht aber durch ihr Engagement gegen Rechts. Ausgestattet mit mehr Personal und weiteren Überwachungsmöglichkeiten wird sich die Situation noch verschärfen.
Zudem wurden die Finanzämter als neue Akteure staatlicher Repression gegen linke Strukturen etabliert, indem politisch missliebigen Vereinen wie der globalisierungskritischen Organisation attac und zuletzt der antifaschistischen VVN-BdA die Gemeinnützigkeit entzogen und somit die finanzielle Grundlage ihrer Arbeit zerstört wird.
Der türkische Linke Mehmet Sarar wurde am 26.12.2019 am badischen Bahnhof in Basel aufgrund einer von der Türkei beantragten Interpol Fahndung von der deutschen Polizei festgenommen und sitzt nun in der JVA Freiburg in Untersuchungshaft. Die Rote Hilfe OG Freiburg fordert seine sofortige Freilassung.
Mehmet Sarar war am 26. Dezember von Paris aus auf den Weg in den Urlaub als er am badischen Bahnhof in Basel nach einer Polizeikontrolle aufgrund einer von der Türkei beantragten Interpol Fahndung festgenommen wurde. Gegen ihn liegt ein internationaler Haftbefehl vor und er ist aktuell in der JVA Freiburg inhaftiert. In Frankreich ist er als politischer Flüchtling anerkannt.
Zum Jahresende hat der Kampf gegen staatliche Repression einen Erfolg zu verzeichnen: Nach genau 16 Monaten in Haft kam der G20-Gegner Loïc am 18. Dezember 2019 endlich auf freien Fuß, wenn auch unter strengen Meldeauflagen. Damit gab das Hamburger Landgericht seine Blockadehaltung gegen die wiederholten Anträge auf Haftverschonung auf.
Der französische Aktivist Loïc war von den deutschen Repressionsorganen wegen seiner Beteiligung an den Gipfelprotesten im Juli 2017 in Hamburg mit internationalem Haftbefehl gesucht worden und am 18. August 2018 festgenommen worden, als er seine Eltern in Nancy besuchte. Für eine konkrete Straftat gibt es keine Beweise; stattdessen wird ihm seine bloße Anwesenheit im Demonstrationszug an der Elbchaussee, aus dem heraus es zu militanten Aktionen kam, zur Last gelegt. Anfang Oktober 2018 wurde Loïc an die deutschen Behörden ausgeliefert, die ihn seither im Untersuchungsgefängnis Holstenglacis festhielten.
Der Prozess, der am 18. Dezember 2018 gegen ihn und vier G20-Gegner aus dem Raum Frankfurt begann, versucht - ähnlich wie in den Ronderbarg-Prozessen - die bloße Beteiligung an einer Versammlung zu kriminalisieren, wohingegen der individuelle Tatnachweis in den Hintergrund tritt. Bei der Verfolgung der G20-Proteste werden die verbliebenen Reste rechtsstaatlicher Vorstellungen massenhaft über Bord geworfen, und es ist kein Wunder, dass nun das Kollektivschuldprinzip offenbar in diesem Rahmen als neue Grundlage eines politischen Feindstrafrechts in der Rechtsprechung verankert wird.
Seit dem 16. November 2019 ist der linke Aktivist Peter Krauth in Venezuela auf Betreiben der Bundesanwaltschaft in Haft: ihm wird vorgeworfen, gemeinsam mit Bernhard Heidbreder und Thomas Walter an den Aktionen der militanten Gruppe K.O.M.I.T.E.E. Mitte der 1990er Jahre beteiligt gewesen zu sein. Das oberste Gericht in Caracas soll nun feststellen, ob die Festnahme, die auf der Grundlage eines Interpol-Haftbefehls erfolgte, rechtmäßig war. Nach venezolanischem Recht sind die vorgeworfenen Taten schon lange verjährt, und es ist höchste Zeit, dass der Berliner Autonome umgehend freigelassen wird.
Peter Krauth stellte ebenso wie seine beiden Genossen einen Asylantrag und wartet auf seine Anerkennung als politischer Flüchtling. Aufgrund seines prekären Aufenthaltsstatus hatte er nur ein vorläufiges Ausweisdokument und wurde am 16. November 2019 ausführlicher überprüft, als er vom venezolanischen Flughafen El Vigía aus nach Caracas fliegen wollte. Dabei stellten die Beamt*innen fest, dass die Bundesanwaltschaft einen zuletzt im August erneuerten Interpol-Haftbefehl gegen Peter Krauth veranlasst hat, und nahmen ihn fest. Seither wartet der Berliner auf eine Entscheidung des obersten Gerichts.