Die neue Rote Hilfe Zeitung ist erschienen. Schwerpunkt der Ausgabe: Aktion und Kunst im öffentlichen Raum.
Ihr könnt die Zeitung im Bahnhofsbuchhandel kaufen oder im Literaturvertrieb bestellen. Mitglieder bekommen die Zeitung zugeschickt.
Außerdem ist sie wie alle Ausgaben seit 3/2011 auch als PDF-Download verfügbar.
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Am heutigen Dienstag, 17. Januar 2023 durchsuchten die Staatsanwaltschaft Karlsruhe und Polizeieinheiten die Räume des Radio Dreyeckland sowie zwei Privatwohnungen von Radiojournalist*innen in Freiburg. Dabei handelt es sich um einen weiteren fundamentalen Angriff auf die im Grundgesetz verankerte Pressefreiheit.
Ab etwa 6.30 Uhr drangen Polizeibeamt*innen und Vertreter*innen der Staatsanwaltschaft in zwei Privatwohnungen von Medienschaffenden ein, durchsuchten die Räume und beschlagnahmten unter anderem Datenträger. Das gleiche Szenario spielte sich ab 8 Uhr in den Räumlichkeiten des Radio Dreyeckland selbst ab, als zehn Beamt*innen stundenlang die Infrastruktur des Rundfunksenders belagerten und elektronische Medien spiegelten und beschlagnahmten. Ein Sprecher des Radios konnte in einer ersten Stellungnahme noch nicht abschätzen, welche Schäden die polizeiliche Spiegelungssoftware auf dem gesamten Netzwerk angerichtet hat.
Wie zu befürchten war, ist die Räumung von Lützerath ein neuer Höhepunkt polizeilicher Gewaltexzesse gegen die Klimagerechtigkeitsbewegung: Schon im Vorfeld waren aus der ganzen Bundesrepublik Hundertschaften, Polizeipferde und Wasserwerfer in den kleinen Weiler in Nordrhein-Westfalen beordert worden. Seit Beginn der Räumung am Mittwoch, 11. Januar 2023 treten die rund 3.000 Beamt*innen mit extremer Brutalität auf und gehen systematisch mit Prügeleinsätzen und Schmerzgriffen gegen die Aktivist*innen vor, die das Dorf im Kampf gegen die klimazerstörerische Kohlekraft besetzt halten. Auch Sanitäter*innen und Journalist*innen waren mehrfach von massiver Polizeigewalt betroffen, und ebenso wie parlamentarischen Beobachter*innen wurde ihnen wiederholt der Zugang verwehrt.
Dass sie keine unliebsamen Zeug*innen möchten, ist kein Wunder, denn mit ihrem brutalen Vorgehen gefährdeten die Einsatzkräfte immer wieder bewusst Menschenleben. Schon dass die Räumung trotz der Unübersichtlichkeit bei Nacht, Sturm und Regen fortgesetzt wurde, brachte die Lützi-Unterstützer*innen in Gefahr. Mehrfach durchtrennten Polizeibeamt*innen die Traversen, die die Monopod-Blockaden oder die Verbindungen zwischen den Baumhäusern sicherten, und riskierten so den Absturz von Aktivist*innen. Bäume wurden selbst dann gefällt, wenn die umstürzenden Stämme bewohnte Baumhäuser treffen konnten. Obwohl seit Donnerstag Nachmittag bekannt ist, dass es ein unterirdisches Tunnelsystem gibt, in dem Lützi-Besetzer*innen gegen die Räumung des Dorfes protestieren, führt die Polizei rücksichtslos Fäll- und Baggerarbeiten durch. Dabei nimmt sie keine Rücksicht darauf, dass die Erschütterungen den Tunnel zum Einsturz bringen könnten.
Vom 22.12.22 bis zum 6.1.23 bleiben die Geschäftsstelle und der Literaturvertrieb geschlossen, weil unsere hauptamtlichen Genoss*innen im wohlverdienten Winterurlaub sind.
Wir wünschen euch allen schöne freie Tage und einen guten Start in ein kämpferisches 2023!
Solidarische Grüße,
Rote Hilfe e.V. Bundesvorstand
Am heutigen Dienstag, 13. Dezember 2022, fand frühmorgens eine bundesweite Razzia gegen Mitglieder der Klimaschutzorganisation „Letzte Generation“ statt, bei der elf Objekte durchsucht wurden. Anlass waren die Ermittlungen nach §129 StGB, mit denen die Staatsanwaltschaft Neuruppin die Aktivist*innen als „kriminelle Vereinigung“ verfolgen will. Dieser Repressionsschlag ist ein neuer Höhepunkt in der grotesken Hetzjagd gegen die Klimagerechtigkeitsbewegung, in der sich Politik, Behörden und Medien seit Wochen zu übertreffen versuchen.
Gerade die „Letzte Generation“, die ihren Forderungen mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen und Straßenblockaden Nachdruck verleiht, war in den vergangenen Wochen zum staatlichen und bürgerlichen Hauptfeindbild geworden. Nachdem ihnen die Schuld an einer Verkehrstoten zugeschoben worden war, übertrumpften sich Politiker*innen und Medien in absurden Vergleichen und bezeichneten die Aktivist*innen als „terroristisch“. Vor allem in Bayern folgten schwere Polizeimaßnahmen gegen Blockierer*innen, unter anderem mehrwöchige Präventivhaft gegen Dutzende von Mitgliedern der „Letzten Generation“.
Die Aktionsgruppe "unfreiwillige Feuerwehr" hatte das Kohlekraftwerk Jänschwalde in Brandenburg am 19. September 2022 blockiert. Als Folge mussten zwei Blöcke des Kraftwerks für einige Stunden heruntergefahren werden. Nach der Räumung der Blockade und 30 Stunden in Gewahrsam verhängte das Amtsgericht Cottbus gegen vier Personen, die sich weiter weigerten, ihre Personalien anzugeben, Untersuchungshaft. Zwei der Inhaftierten kamen frei, nachdem sie ihre Identität angegeben haben.
Ava und Ralph sind weiterhin in Haft. Sie wurden wegen der Kraftwerksblockade inzwischen zu vier Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Die Verteidigung hat erneut Haftbeschwerde beim Amtsgericht Cottbus eingereicht. Ihre Haftbeschwerden gegen die U-Haft hatte das Gericht zuvor abgelehnt.
Die Gefangenen sitzen in der JVA Luckau-Duben und Cottbus-Dissenchen unter menschenunwürdigen und rechtswidrigen Bedingungen. Statt den üblichen fünf Tagen waren sie drei Wochen in Quarantäne und eine Gefangene musste zwei Wochen auf einen akuten Arzttermin warten. Briefe kamen entweder gar nicht an oder nur sehr verspätet. Veganes Essen wird ihnen mit der Begründung verwehrt, dass es eine Mangelernährung sei. Die vegetarische Essensalternative im Knast beinhaltet Fisch. Immerhin haben es die Inhaftierten geschafft, sich dagegen zu wehren und zumindest den Fisch vom Speiseplan zu streichen.
Der Leipziger Journalist Marco Bras dos Santos wurde heute wegen Hausfriedensbruchs verurteilt. Das Amtsgericht in Borna hielt ihn für schuldig, im November 2019 unbefugt das Betriebsgelände des Energiekonzerns Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft (MIBRAG) betreten zu haben. Damals hatten mehr als 1.000 Aktivist*innen des Bündnisses Ende Gelände Braunkohlebagger im Tagebau Vereinigtes Schleenhain in der Nähe von Leipzig blockiert. Bras dos Santos hatte für das Leipziger Stadtmagazin kreuzer über die Klimaproteste berichtet. Die MIBRAG, deren Eigentümer Daniel Křetínský ein ambivalentes Verhältnis zur Pressefreiheit nachgesagt wird, zeigte ihn daraufhin wegen Hausfriedensbruchs an. Das Gericht ließ die Anklage zu und fällte heute ein Strafurteil gegen den Journalisten.
Dazu der Journalist Marco Bras dos Santos:
„Eine demokratische Gesellschaft ist ohne Pressefreiheit nicht denkbar. Dass Medienschaffende von Energiekonzernen wie der MIBRAG mit Klagen überzogen werden können, zeugt von einem antidemokratischen Verständnis. Es ist der Sinn von Journalismus, im öffentlichen Interesse von wichtigen Ereignissen zu berichten. Genau das sind die Aktionen von Ende Gelände. Nicht umsonst hat der Journalist Tim Wagner für ein Foto von dieser Aktion den Preis des ‚Sächsischen Pressefoto des Jahres 2019‘ erhalten. Die Fachjuri bewies damit das Rückgrat, das von dem Amtsgericht in Borna nicht zu erwarten war. Ich mache mir keine Illusionen darüber, dass die nächst höheren Gerichtsinstanzen in Sachsen zu einem anderen Urteil kommen würden. Den Kampf um die Pressefreiheit gilt es in Karlsruhe oder Straßburg zu führen.“
Nach der Aktion von Ende Gelände hatte die MIBRAG die regionalen Medien nach Presseberichten durchsucht und Strafanzeigen insbesondere gegen Journalist*innen erstattet, die Fotos von der Blockade des Tagebaus veröffentlicht hatten.
Die neue Rote Hilfe Zeitung ist erschienen. Schwerpunkt der Ausgabe: Medien und Repression.
Ihr könnt die Zeitung im Bahnhofsbuchhandel kaufen oder im Literaturvertrieb bestellen. Mitglieder bekommen die Zeitung zugeschickt.
Außerdem ist sie wie alle Ausgaben seit 3/2011 auch als PDF-Download verfügbar.
Am Donnerstag, 17. November 2022 verurteilte das Amtsgericht Cottbus zwei Klimaaktivist*innen zu vier Monaten Haft: Ava und Ralph sind bereits seit der Blockade des Braunkohlekraftwerks in Jänschwalde am 19. September 2022 in Untersuchungshaft und sollen nun für weitere zwei Monate im Gefängnis bleiben. Damit hat der staatliche Repressionsapparat die Gangart gegen Kohlegegner*innen nochmals verschärft.
Im Prozess wurde schnell deutlich, dass es dem Gericht nicht darum ging, die Abläufe der Ereignisse zu rekonstruieren und konkrete Straftatbestände zu beweisen: Der unbedingte Verurteilungswille war von Anfang an nicht zu übersehen, und selbst offensichtliche Widersprüche und sachlich falsche Angaben in Zeug*innenaussagen wurden ignoriert. Die Haftstrafen wurden letztlich wegen Störung öffentlicher Betriebe, Hausfriedensbruch, Nötigung und Sachbeschädigung verhängt. Das zehnstündige Verfahren wurde begleitet von Protesten von Unterstützer*innen vor dem Gerichtsgebäude und im Saal. Ralph und Ava werden gegen das Urteil in Berufung gehen.
Bereits die Räumung der Blockade in Jänschwalde war von massiver Polizeigewalt geprägt gewesen, und die Festgenommenen berichteten von massiven Schikanen bis hin zu nächtlichem Schlafentzug. Gegen mehrere Aktivist*innen wurden bei ihrer Freilassung groteske Meldeauflagen erlassen.
Am 3. November 2022 haben Klima-Aktivist*innen eine Hauptverkehrsstraße im Münchner Zentrum, in der Nähe des Stachus, in beiden Fahrtrichtungen blockiert und wurden von der Polizei geräumt. Die Aktion wiederholten sie wenige Stunden später. Laut Medienberichten hatten 15 Personen sich mit einer Hand an der Fahrbahn festgeklebt.
Zwölf von ihnen wurden daraufhin auf richterliche Anordnung in Gewahrsam genommen und sollen 30 Tage im Gefängnis verbringen.
Gegen die drei übrigen Blockierer*innen wurden kürzere Inhaftierungen angeordnet.
Schon am Wochenende davor waren in München Aktivist*innen der Gruppe „Scientist Rebellion“ wegen Straßenblockaden, Festklebe-Aktionen und angeblicher Beschädigung von Autos für eine Woche in Gewahrsam genommen worden.
Begründet wird dies von Seiten des Polizeipräsidiums mit der Ankündigung weiterer Sitzblockaden.
Immer wieder kommt es in einzelnen Bundesländern oder Städten zu Anwerbeversuchen des Inlandsgeheimdiensts: die Mitarbeiter*innen des so genannten Verfassungsschutzes (VS) nötigen politische Aktivist*innen, mit ihnen zusammenzuarbeiten und Informationen über Strukturen, Bewegungen und Einzelpersonen zu liefern. Dabei bekommt der Geheimdienst bisweilen offene Unterstützung durch vollkommen andere Behörden – auf mehr als fragwürdiger Rechtsgrundlage, wie ein Fall aus Frankfurt zeigt, in dem das Ordnungsamt den Betroffenen zu einem Termin bestellte.
Im September 2022 erhielt ein Frankfurter Mitglied der "Kommunistischen Organisation" überraschenderweise einen Anruf des Ordnungsamts, das ihn zu einem Termin wegen einer nicht näher erläuterten „amtlichen Angelegenheit“ einlud. Als der linke Aktivist am vereinbarten Tag die Behörde betrat, wurde er in einen Seitenraum verwiesen, in dem ihn zwei Mitarbeiter des Inlandsgeheimdiensts aufforderten, als Informant für sie tätig zu werden. Der Betroffene wies das Ansinnen entschieden zurück und beendete das Gespräch umgehend.